Die Bücherverbrennung wider dem „Undeutschen Geist“
Die „Aktion wider dem undeutschen Geist“, deren Höhepunkt die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 darstellt, wird von der „Deutschen Studentenschaft“ (DSt) unter Führung des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) organisiert.
Dabei wird sie von vielen Professoren unterstützt. So wird Professor Dr. phil. et jur. Eugen Lüthgen in Bonn im Angesicht des Feuers Folgendes äußern:
„Wie die Flammen emporlodern, um Gift, um Schmutz und Schund zu zerfressen, so sollen diese Flammen der Läuterung uns Sinnbild sein, alles Undeutsche bis in die Wurzeln hinein zu vernichten …“
Aus: Dieter Sauberzweig: Die Hochschulen im dritten Reich. Die Zeit, vom 10. 03 .1961 Nr. 11.
„Undeutsch“, das sind beispielsweise die Schriftsteller Kurt Tucholsky (1890 – 1935), Bert Brecht (1898 – 1956), Stefan Zweig (1881 – 1942), Joachim Ringelnatz (1883 – 1934), Joseph Roth (1894 – 1939) oder Magnus Hirschfeld (1868 – 1935), der Gründer des weltweit ersten Instituts für Sexualwissenschaft.
Den studentischen Aktionen teilweise vorauseilend, werden einige Bücherverbrennungen bereits nach der Reichstagswahl Anfang März 1933 von SA und SS bzw. Hitler-Jugend (HJ) und dem Bund Deutscher Mädel (BDM) organisiert. Nachahmungen der Bücherverbrennung finden im Deutschen Reich bis in den Oktober des Jahres 1933 statt.
12 Thesen, Schandpfähle und Scheiterhaufen
Die Veröffentlichung des Plakats „12 Thesen wider den undeutschen Geist“ vom 12. April steht am Beginn der folgenden Entwicklung.
Am 19. April werden die StudentInnen von der „Deutschen Studenschaft“ aufgerufen, Hochschullehrer zu nennen, die nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 aus ihren Ämtern ausscheiden müssen. Das Gesetz ermöglicht, jüdische und politisch missliebige BeamtInnen, aus dem Dienst zu entfernen. Die deutschen Hochschulen verlieren durch dieses Gesetz Tausende Personen aus ihrem Lehrkörper.
Ebenfalls im Vorfeld der Bücherverbrennung kommt es an einigen Universitäten zur Aufstellung von „Schandpfählen“. An ihnen werden die Namen angefeindeter Professoren und einzelne literarische Schriften angeschlagen.
Den Höhepunkt der „Aktion wider den undeutschen Geist“ bildet die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz und in 21 weiteren deutschen Universitätsstädten. Einige Bücherverbrennungen müssen aufgrund starken Regens in den Tagen und Wochen nach dem 10. Mai nachgeholt werden.
Über die Bücherverbrennung 1938 in Salzburg können Sie sich in dem vor 2 Jahren veröffentlichten Beitrag „Bücherverbrennung in Salzburg“ informieren.
Stellvertretend für jene Frauen und Literatinnen, die Verfolgung und Emigration nicht überlebt haben oder einfach vergessen wurden, werden im Beitrag VERB(R)ANNT – BÜCHERVERBRENNUNG UND EXIL die drei Autorinnen Maria Leitner, Lili Grün und Grete Weiskopf gewürdigt.
Bücherverbrennung in Berlin: Dort steht ja Kästner!
Erich Kästner ist Zeuge, wie seine Bücher in Berlin in Flammen aufgehen und hört seinen Namen im zweiten Feuerspruch: „Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner.“
Im Vorwort zu „Bei Durchsicht meiner Bücher“ schreibt Erich Kästner später:
„Und im Jahre 1933 wurden meine Bücher in Berlin, auf dem großen Platz neben der Staatsoper, von einem gewissen Herrn Goebbels mit düster feierlichem Pomp verbrannt. Vierundzwanzig deutsche Schriftsteller, die symbolisch für immer ausgetilgt werden sollten, rief er triumphierend bei Namen. Ich war der einzige der Vierundzwanzig, der persönlich erschienen war, um dieser theatralischen Frechheit beizuwohnen. […] Plötzlich rief eine schrille Frauenstimme: ‚Dort steht ja Kästner!‘ Eine junge Kabarettistin, die sich mit einem Kollegen durch die Menge zwängte, hatte mich stehen sehen und ihrer Verblüffung übertrieben laut Ausdruck verliehen. Mir wurde unbehaglich zumute. Doch es geschah nichts. (Obwohl in diesen Tagen gerade sehr viel zu geschehen pflegte.) Die Bücher flogen weiter ins Feuer.“
Grundlage der Bücherverbrennung 1933 – die „Schwarzen Listen“ –
Grundlage für die Auswahl der zu verbrennenden Bücher bilden die „Schwarzen Listen“ des Bibliothekars Wolfgang Herrmann (1904 – 1945).
Die Listen umfassen folgende Sachgebiete: Schöne Literatur/Geschichte/Kunst/Politik und Staatswissenschaften/Literaturgeschichte/Religion, Philosophie, Pädagogik.
Bereits in den ersten, später immer wieder erweiterten Fassungen, sind viele prominente Namen zu finden. Im Laufe der Zeit werden die Zusammenstellungen zu einem richtiggehenden „Who is Who“ der deutschen und österreichischen Literatur und Wissenschaft.
Bei der Zusammenstellung der Listen finden auch die Toten, wie die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner (1843 –1914), Gustav Meyrink (1868 –1932) oder Arthur Schnitzler (1862 – 1931) ihren Platz.
Selbstredend wird auf die SchriftstellerInnen fremdsprachiger Literatur, die in deutscher Übersetzung vorliegen, nicht vergessen. Wenn ein solches Werk als sozialistisch/kommunistisch, pazifistisch oder jüdisch gilt und vom Publikum gerne gelesen wird, ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den „Schwarzen Listen“ zu finden.
Mit 21 Namen bilden dabei die sowjetischen AutorInnen die größte Gruppe. Dazu zählen beispielsweise Maxim Gorki (1868 – 1936), der „Übervater“ der sowjetischen Literatur. Oder Isaak Babel (1894 – 1940), der Autor des Erzählzyklus „Die Reiterarmee“. Darin verarbeitet er seine Erfahrungen als Korrespondent während des russisch-polnischen Krieges (1920/21). Oder Ilja Ilf (1897 – 1937), der Autor des, gemeinsam mit Jewgeni Petrow verfassten, wunderbaren satirischen Romans „Zwölf Stühle“.
Weitere Beispiele sind der US Amerikaner Ernest Hemingway (1899 – 1961), der Meister der Short Story und Verteidiger der Spanischen Republik im Kampf gegen Franco von 1936 bis 1939. Der Franzose Henri Barbusse (1873 – 1935), er wurde durch seinen 1916 erschienenen Antikriegsroman „Das Feuer“ berühmt. Jaroslav Hašek (1883 – 1923), der mit dem antimilitaristisch-satirischen Schelmenroman „Der brave Soldat Schwejk“ bekannt wurde. Selbst ein Japaner, Sunao Tokunaga (1899 – 1958), wird mit seinem Roman „Die Straße ohne Sonne“ auf die „Schwarze Liste“ gesetzt.
Eine komplette Liste der „verbrannten Bücher“ zu erstellen ist nahezu unmöglich. Bereits die erste, der Studentenschaft am 26. April 1933 von Wolfgang Herrmann übermittelten Liste, wird mit dem Vermerk „Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Ausschließlichkeit“ versehen.
Fleißaufgaben und Fassungslosigkeit
Einige der Universitäten nehmen dieses Angebot scheinbar gerne wahr. So ergänzt die Universität Halle-Wittenberg ihre Liste unter anderem mit Heinrich Heine, Carl Zuckmayer und Frank Wedekind. In Hannover, Hamburg, Göttingen und Köln werden Werke von Thomas Mann, der im Gegensatz zu seinem Bruder Heinrich und seinem Sohn Klaus, vorerst nicht auf der offiziellen Liste steht, verbrannt.
Stefan Zweig (1881 – 1942) schreibt am 10. Mai 1933 fassungslos an den französischen Literaturnobelpreisträger und Pazifisten Romain Rolland (1866 – 1944):
„Nicht ein Protest eines deutschen Schriftstellers gegen das Autodafé von Werfel, von Wassermann, von Schnitzler, von mir! Keiner, keiner, keiner! Nicht mal in einem privaten Brief!! (…) Ich bin derselbe Mensch, derselbe Schriftsteller wie vor 14 Tagen, ich habe seitdem nicht eine Zeile publiziert.
Aber seit dem Moment, da ich auf der Liste dieses 18jährigen kleinen Hanswurstes stehe, wagt niemand mehr, mir zu sagen: ‚Wie geht´s, lieber Freund.‘ Ach, sie haben schon um solche Kleinigkeiten Schiß: stellen Sie sich vor, wie es erst in wirklicher Gefahr oder im Kampfe sein wird“.
Aus: Rolland, Romain/ Zweig, Stefan: Briefwechsel. 1910-1940. Zweiter Band 1924-1940. Berlin: Rütten & Loehning 1987.
Insgesamt sind von März bis Oktober 1933 in 62 deutschen Städten 94 öffentliche Bücherverbrennungen belegt.
Ein Missverständnis
„Verbrennt mich!“ – Oskar Maria Graf (1894 – 1967) beginnt sein Exil in Wien, wo er sich am 10. Mai auf einer Vortragsreise befindet; und mit einem Missverständnis. Da seine Bücher am 10. Mai nicht am Scheiterhaufen landen, sie vielmehr mittels einer „weißen Liste“ von den NationalsozialistInnen empfohlen werden, veröffentlichte er zwei Tage später, am 12. Mai 1933 in der Wiener Arbeiter-Zeitung den Artikel: „Verbrennt mich“.
„Verbrennt mich! […] Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, daß meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbande gelangen. Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach!“
1934 wird seinem Wunsch Genüge getan. Seine Bücher werden in einer speziell für ihn angesetzten Bücherverbrennung im Innenhof der Münchner Universität verbrannt, seine Werke in Deutschland verboten und er selbst am 24. März 1934 ausgebürgert.
Über Wien, Brünn und Holland gelangt er 1938 nach New York. Der Staatenlose erhält 1957 die US amerikanische Staatsbürgerschaft und kann so im darauffolgenden Jahr erstmals wieder Europa besuchen.
Obwohl er in den USA nie ganz heimisch wird, kehrt er nur vorübergehend, im Rahmen seiner drei Europareisen, nach Deutschland zurück.
Bücherverbrennung in Österreich, Mexiko, Frankreich und Ungarn
Österreich: Die größte nationalsozialistische Bücherverbrennung in Österreich findet am 30. März 1938 in Salzburg statt. Neben linken und jüdischen AutorInnen werden auch Bücher katholischer, ständestaatlicher und legitimistischer Politiker ein Opfer der Flammen.
Der austrofaschistische Ständestaat leistete allerdings bis zum „Anschluss“ an das Deutsche Reich am 12. März 1938 gründliche Vorarbeit.
Das Verbot der sozialdemokratischen Partei (1934) eröffnet der ‚Zentralstelle für Volksbildung‘ (ZV) im Unterrichtsministerium (BMU) neue Möglichkeiten und bringt erweiterte Aufgaben mit sich:
„Das bedeutete oder bedingte eine massenhafte Säuberung von Büchereien landauf, landab und seien es Büchersammlungen kleiner Freiwilliger Feuerwehren. Es mussten hunderte und aberhunderte sozialdemokratische Bildungseinrichtungen – hier Büchereien – die als Vereine existierten, aufgelöst und liquidiert werden. Es mussten Lokale geschlossen, Miet- und Personalverträge gelöst und allfälliges Vermögen beschlagnahmt und verwertet werden. Volks- und Arbeiterbüchereien mussten gesichtet werden, und ‚unerwünschte‘, aber nicht zwangsweise ‚verbotene‘ Literatur war auszusondern.“
Gisela Kolar, Ein „Vorspiel“: Die Wiener Arbeiterbüchereien im Austrofaschismus, Diplomarbeit, Wien 2008, S. 58.
Mexiko: Die NSDAP-Landesgruppe organisiert im März 1938 in Mexiko-Stadt ein „Fest für den vollzogenen Anschluss“ Österreichs. Zu diesem Anlass erfolgte auch eine „kleine“ Bücherverbrennung.
Frankreich: Im besetzten Elsass wird 1941 eine „Entwelschungsaktion“ mit mehreren Bücherverbrennungen durchgeführt.
Ungarn: Im Sommer 1944 werden in Ungarn hunderttausende Bücher jüdischer Autoren und AutorInnen verbrannt.
Exilliteratur und Bücherverbrennung im Überblick
Alle Einzelbeiträge über AutorInnen der deutschsprachigen Exilliteratur im „Wiener Bücherschmaus finden Sie auf der Seite Exilliteratur.
Einen Gesamtüberblick über die Themen Exilliteratur und Bücherverbrennung im Wiener Bücherschmaus finden Sie auf der Seite Bücherverbrennung und Exilliteratur im Nationalsozialismus.
Bildrechte:
Berlin, Opernplatz, Bücherverbrennung: Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland“ lizenziert. Namensnennung: Bundesarchiv, Bild 102-14597 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0
Die zwölf Thesen wider den undeutschen Geist (Flugblatt vom 12. April 1933): Gemeinfreies Foto eines Faksimiles, ausgestellt im Theodor-Heuss-Haus Stuttgart; Original: Staatsarchiv Würzburg, Akten der Deutschen Studentenschaft, I 21 C 14/I. Urheber anonym.
Diesen Artikel finde ich hochwichtig wie gleichermaßen interessant und seine Weiterverbreitung absolut zu unterstützen! Ja ich würde noch weiter gehen, er sollte in direktem Wortlaut seinen Platz im Haus der Geschichte finden…
Liebe Helga Künzl, vielen Dank für Deinen Kommentar. Er motiviert uns, in unserem Engagement nicht nachzulassen. Herzliche Grüße, Georg Schober
Möchte in diesem Zusammenhang auch aus das Buch von Klaus Taschwer „Hochburg des Antisemitismus“ hinweisen, in dem er die Zustände an der Wiener Uni während der ersten Republik, dann vor allem während des Austrofaschismus darlegt. Und die Chuzpe ist, dass derselbe antisemitische und illiberale Kreis an Hochschulprofessoren (ohne Binne-I) des „deutschen Kreises“ nach dem zweitem Weltkrieg, auch dank der Nachsichtigkeit der KPÖ, vor allem Ernst Fischers, weiterhin bis in die 70er das Klima auf den Unis durch fortschritts- und kulturfeindliche Haltungen vergiften konnte.
Danke für diesen interessanten Hinweis auf das Buch von Klaus Taschwer. Das Binnen-I erübrigt sich wahrscheinlich schon deshalb, weil in diesem Kreis von Hochschulprofessoren wohl kaum eine Frau vertreten war. Liebe Grüße, Georg Schober