Exilliteratur – Teil 13: Maria Leitner
Oskar Maria Graf, der Autor des zwei Tage nach der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in der Wiener „Arbeiterzeitung“ veröffentlichten Artikels „Verbrennt mich“, setzt sich für Maria Leitner in einem Brief an Hubertus Prinz zu Löwenstein, dem Begründer der „American Guild for Cultural Freedom“, ein. Unter anderem beschreibt er sie als „eine sehr aktive antifaschistische Schriftstellerin, die nur wenige kennen. Sie ist nicht nur eine gute Schriftstellerin, sondern eine der mutigsten und bescheidensten Frauen, die wir haben“.
Maria Leitner wird 1892 in einer deutschsprachigen Familie in Österreich-Ungarn geboren. Ab 1913 arbeitet sie als Journalistin in Budapest. Nach dem 1. Weltkrieg bzw. dem Ende der Ungarischen Räterepublik, für die sich engagiert, emigriert sie über Wien nach Berlin.
Gemeinsam mit Egon Erwin Kisch, Anna Seghers, Erich Weinert und vielen anderen organisiert sie sich im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller.
Maria Leitner: Journalistin und sozialkritische Schriftstellerin
Sie arbeitet für den Ullstein Verlag und die von Willi Münzenberger geleitete Kosmos-Verlag GmbH. Diese ist das zweitgrößte Medienunternehmen der Weimarer Republik und druckt beispielsweise die „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ (AIZ), zu deren MitarbeiterInnen auch der „Erfinder“ der politischen Fotomontage, John Heartfield, gehört.
In der Zeitung „Uj Elöre“, („Neuer Vorwärts“), der einzigen linken ungarischen Tageszeitung in den USA, erscheint 1923 der von ihr ins Ungarische übersetzte Roman „Die eiserne Ferse“ von Jack London in Fortsetzungen. 1933 werden „Die eiserne Ferse“ wie auch die Werke von Maria Leitner auf dem Scheiterhaufen der Nationalsozialisten in Flammen aufgehen.
Ab 1925 durchquert Sie drei Jahre lang Amerika bzw. die Karibik. Ihr Weg führt sie von New York über Französisch- und Britisch-Guayana, Haiti, Curacao und Trinidad bis nach Venezuela und Haiti. Bei ihrer literarischen Arbeit verlässt sie sich nicht auf den Blick von außen. Sie sammelt vielmehr in den unterschiedlichsten beruflichen Tätigkeiten, beispielsweise als Dienstmädchen, Zigarrendreherin und in einem Automatenrestaurant, ihre Erfahrungen vor Ort.
Ihr Schreiben ist geprägt von der Erkenntnis, dass die ArbeitnehmerInnen sich organisieren und solidarisch handeln müssen, wollen sie ihre Lage zum Besseren wenden. Die Voraussetzung für ein solidarisches Handeln sieht Maria Leitner in einem möglichst umfassenden Verständnis der komplexen Prozesse, die für die wirtschaftliche und politische Entwicklung auf dem Globus verantwortlich zeichnen.
„Kein Ereignis bleibt isoliert, nirgends, auch in den entferntesten Winkeln der Erde kann etwas geschehen, das nicht alle gleichmäßig anginge. Die Welt ist ein organisches Ganzes, auch wenn sich die einzelnen Teile noch so heftig bekämpfen.“
1930 erscheint ihr Reportageroman „Hotel Amerika“. In eine Kriminalhandlung eingebettet, entwickelt sich das Schicksal des Wäschemädchens Shirley O’Brien. Der Roman thematisiert die sozialen Missstände anhand der Arbeitsbedingungen in einem amerikanischen Luxushotel.
Während sich der nationalsozialistische Terror im „Deutschen Reich“ ausbreitet, kann sie 1932/33 die sozialkritische Serie „Frauen im Sturm der Zeit“ in der „Welt am Abend“ und in der „Arbeiter-Illustrierte Zeitung“ den antikolonialistischen Fortsetzungsroman „Wehr dich, Akato“ veröffentlichen.
Ebenfalls 1932 erscheinen ihre Sozialreportagen aus Amerika in dem Sammelband „Eine Frau reist durch die Welt“.
Maria Leitner: Bücherverbrennung 1933 und Flucht nach Frankreich
Auf der schwarzen Liste des nationalsozialistischen Bibliothekars Wolfgang Herrmann befindlich, wird ihr literarische Schaffen 1933 im Deutschen Reich verbrannt. Sie muss untertauchen und kommt als Emigrantin über Prag nach Paris. Mehrfach kehrt diese mutige Frau inkognito ins Deutsche Reich zurück und berichtet anschließend, wie sich das Land zum Krieg rüstet.
Trotz schwierigster Lebensbedingungen, versucht sie weiterhin als Schriftstellerin zu arbeiten. Ihre Reportagen werden in der Exilpresse veröffentlicht; in der Prager Zeitschrift „Die Neue Weltbühne“, in der „Pariser Tageszeitung“ und in „Das Wort“ in Moskau.
Mit „Elisabeth, ein Hitlermädchen“, der Roman erscheint 1937 in Fortsetzungen in der „Pariser Tageszeitung“, setzt sich Maria Leitner mit dem Thema Jugend und Faschismus auseinander.
Ab 1939 versucht sie intensiv, ein Visum für die USA zu erhalten.
1940, nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Paris, erfolgt ihre Internierung dendurch die französischen Behörden im Lager Camp de Gurs. Ihr gelingt die Flucht nach Marseille, wo sie in extrem ärmlichen Verhältnissen im Untergrund lebt.
Hubertus Prinz zu Löwenstein schreibt in einer handschriftlichen Notiz, mit der er seinen Brief vom 31. Juli 1941 an Alfred Kantorowicz ergänzt, unter anderem zur Situation von Maria Leitner: „Anna Seghers hatte sich sehr für sie eingesetzt. Aber jetzt kann ich einfach nichts machen, ich habe alles versucht. Das Emergency Rescue Committee, an das ich mich wandte, war unfähig (oder unwillig!) ihr ein Affidavit zu verschaffen. Jetzt hat das Rautenstrauch (?) Committee den Fall; die American Writers haben nichts getan! – Bitte helfen Sie!“
Anfang 1942 wird sie ein letztes Mal, verzweifelt und krank, im Büro des American Rescue Committee in Marseille gesehen. Danach verliert sich vorerst ihre Spur.
Vor allem den jahrzehntelangen Recherchen von Helga Schwarz verdanken wir den Großteil unseres heutigen Wissens über Maria Leitner.
Auf diesen Informationen aufbauend, kann Julia Killet im Rahmen ihrer Dissertation 2009/2010 das Ende der „verschollenen“ Schriftstellerin klären. Sie stößt auf behördliche Dokumente, die den Tod der Autorin infolge völliger Erschöpfung für den 14. März 1942 attestieren.
Literatur von Maria Leitner
Tibetanische Märchen. Berlin. Verlag Axel Juncker, 1923.
Hotel Amerika. Ein Reportage-Roman. Edition Mokka, 2013.
Eine Frau reist durch die Welt. Edition Mokka, 2013.
Sandkorn im Sturm. Aus der Zeit der Ungarischen Räterepublik 1919, Verlag Hoffenberg, 2021.
Elisabeth, ein Hitlermädchen. Ein Roman und Reportagen (1934-1939). Hrsg. von Helga Schwarz. Aviva Verlag, 2014.
Reportagen aus Amerika. Eine Frauenreise durch die Welt der Arbeit in den 1920er Jahren. Hrsg., bearb. und Nachw. von Gabriele Habinger. Promedia Verlag, 1999.
Mädchen mit drei Namen. Reportagen aus Deutschland und ein Berliner Roman 1928-1933, Aviva Verlag.
Schwarz, Helga: Maria Leitner – eine Verschollene des Exils? In: Koebner, Thomas (Hg.): Fluchtpunkte des Exils und andere Themen. München. Ed. Text + Kritik (Exilforschung, 5). S. 123–134
Killet, Julia (Herausg.) / Schwarz, Helga W. (Herausg.): Maria Leitner oder: Im Sturm der Zeit, Dietz Verlag, 2013.
Von und über die Autorin im Internet
Helga W. Schwarz: Maria Leitner – Erinnerungen, Ergänzungen und Entdeckungen zu ihrer Biografie
Julia Killet: Maria Leitners Reportagen aus Nazi-Deutschland. Seite 344 ff.
Leitner, Maria: Hotel Amerika (1930). Onlinefassung.
Schmid, Hans (2009): Kein Platz im Hotel Amerika, Teil 1. Über Maria Leitner, die Pionierin der Undercover-ReportageTelepolis.
Schmid, Hans (2010): Kein Platz im Hotel Amerika, Teil 2. In geheimer Mission im Dritten ReichTelepolis.
Die Authentische Sozial-Reporterin Maria Leitner – ein Beitrag von Walter Hömberg.
Exilliteratur und Bücherverbrennung im Überblick
Alle Einzelbeiträge über AutorInnen der deutschsprachigen Exilliteratur im „Wiener Bücherschmaus finden Sie auf der Seite Exilliteratur.
Einen Gesamtüberblick über die Themen Exilliteratur und Bücherverbrennung im Wiener Bücherschmaus finden Sie auf der Seite Bücherverbrennung und Exilliteratur im Nationalsozialismus.
Fotoquelle via Wikimedia: Elisabeth, ein Hitlermädchen – Erzählende Prosa, Reportagen und Berichte, Aufbau Berlin, 1985, CC BY-SA 3.0