Exilliteratur – Teil 7: Erich Fried
Erich Fried: Österreicher – Jude – Emigrant – Marxist – Friedensaktivist und Antizionist
Kämpferischer Lyriker, großartiger Übersetzer von Shakespeare und wortgewaltiger Essayist. Von den einen als „Stören-Fried“ verehrt, von den anderen als solcher gefürchtet und oftmals mit Schmutz beworfen. Dieser Tage hätte er seinen hundertsten Geburtstag gefeiert.
Erich Fried im Exil
In Wien geboren, rettet er sich als Siebzehnjähriger nach der Auslöschung Österreichs und der Tötung des Vaters durch die NS-Schergen als junger Mann nach England. Anfänglich hält er sich mithilfe von diversen Gelegenheitsjobs, unter anderem als Fabrikarbeiter und Bibliothekar über Wasser. Ab 1941 veröffentlicht er Gedichte in Exil-Zeitschriften wie Young Austria und im Zeitspiegel. Seine erste selbstständige Veröffentlichung „Deutschland Gedichte“ erscheint 1944 im Verlag des österreichischen Exil-PEN in London. Nach dem Krieg arbeitet er ab den frühen 50-Jahren als Kommentator der BBC. 1968 beendet er dieses Arbeitsverhältnis, widmet sich verstärkt seinem literarischen Schaffen und wird zusehends, vor allem in der BRD, zu einer von vielen gehörten Stimme in der politischen Auseinandersetzung.
Der Lyriker
Von seinen Büchern, insbesondere jenen über die Liebe, wurden bisher weit über eine Million Exemplare verkauft. Sie machen Erich Fried zu einem der erfolgreichsten und meistgelesenen deutschsprachigen Lyrikern. Sein politisches Engagement, sein Anschreiben gegen Krieg und Unterdrückung erhält heute vergleichsweise weniger Aufmerksamkeit. Letztlich hat aber auch seine Liebeslyrik, indem sie in einer durch und durch monetarisierten Gesellschaft dazu aufruft, den Menschen wahrzunehmen und ihn in seiner Individualität zu akzeptieren, einen eminent politischen Charakter.
Der Verleger Christian Bourgois schreibt über Erich Fried:
Er beendet eine Tradition des deutschen Gedichts als neutrale Darstellung von Seelenlandschaften und erneuert eine andere durch Hineinnahme des lyrischen Ichs ins politische Handgemenge.
Erich Fried: Antizionist und Friedensaktivist
1966, noch vor Beginn der großen Vietnamdemonstrationen, veröffentlicht er „und VIETNAM und“ im Verlag Klaus Wagenbach. Der Klappentext des Buches beschreibt den Inhalt folgendermaßen: „Gedichte voll Zweifel am Recht des Stärkeren und an der Glaubwürdigkeit einer demokratischen Idee, die mit Gas, Befriedungsaktionen und Napalm durchgesetzt werden muß.“
Mit dem Gedicht „Höre Israel!“, Erich Fried schreibt es nach dem Sechstagekrieg 1967, übt er pointierte Kritik am Zionismus und der Politik Israels gegenüber den Palästinensern.
Als wir verfolgt wurden/ war ich einer von euch/ Wie kann ich das bleiben/ wenn ihr Verfolger werdet?// Eure Sehnsucht war zu werden/ wie die Völker Europas/ die euch mordeten/ Nun seid ihr geworden wie sie.// Ihr habt die überlebt/ die zu euch grausam waren/ Lebt ihre Grausamkeit/ in euch jetzt weiter?// …
Eine Kritik, die gerade in Zeiten, in denen im „Westen“ die Kritiklosigkeit an der Politik Israels vielerorts zur „Staatsräson“ erhoben ist, nichts von ihrer Bedeutung verloren hat.
Mitte der 70er-Jahre greift er den Titel des Gedichts als Buchtitel auf. In dem Lyrikband versammelt er zahlreiche Gedichte, die sich kritisch mit der israelischen Politik auseinandersetzen. Die Veröffentlichung des Buches hat für Erich Fried und seine Familie dramatische Folgen.
Sein Sohn Klaus Fried schreibt über die damalige Situation: I
n den Jahren danach gab es in unserem Haushalt (in London) eine Regel, die nicht infrage gestellt wurde: Wenn ein Paket geliefert wurde, durften wir Kinder es nicht anfassen. Das war ungewöhnlich. Denn im Allgemeinen gab es keine Regeln – und die wenigen, die es gab, waren dehnbar. Zum Beispiel wurde uns davon abgeraten, die Polizei, die unser Telefon abhörte, mit den besten Obszönitäten zu beschimpfen, die unser kindlicher Wortschatz zu bieten hatte – aber wirklich nur abgeraten, nicht verboten.
Es ist die Zeit, in der er in zahlreichen Medien gerne mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten denunziert wird und der bayerische Kultusminister seine Gedichte aus Schulbüchern eliminiert. Besonders „sensibel“ äußert sich der damalige Fraktionsvorsitzende der Bremer CDU, Bernd Neumann, über das Gedicht „Die Anfrage“ des „sogenannten Schriftstellers Erich Fried.“:
… so etwas würde ich lieber verbrannt sehen, das will ich Ihnen einmal ganz eindeutig sagen!
Im Laufe seines Lebens erhält er zahlreiche Ehrungen und Preise: 1972 wird er mit dem „Österreichischen Würdigungspreis für Literatur“ ausgezeichnet.
In seiner Dankesrede heißt es unter anderem:
Mir geht es halbwegs gut; und seit ich als junger Flüchtling Dichter werden wollte, hat sich vieles geändert (sonst könnte ich heute hier nicht stehen); aber Verfolgte und Entrechtete gibt es immer noch.
Daher spendet er die eine Hälfte des Preises an die Israelische Liga für Menschen- und Bürgerrechte. Die andere Hälfte geht an einen Anwalt, der die Interessen von Palästinensern in der BRD vertritt.
In weiterer Folge entsteht das Gerücht, er hätte sein Preisgeld dem „Schwarzen September“ geschenkt. Rabbi Meir Kahane und der Jewish Defense League verurteilen ihn daraufhin zum Tod. Er wird allerdings gewarnt und erhält wenige Wochen später die Nachricht, das Todesurteil sei zurückgezogen, da es auf falschen Informationen beruht.
Späte Würdigung in Österreich
1986 wird er, der Österreich immer als seine Heimat betrachtet, mit dem Österreichischen Staatspreis für Verdienste um die österreichische Kultur im Ausland ausgezeichnet.
Zwei Jahre später, am 22. November 1988, stirbt Erich Fried nach einer Krebsoperation. Er liegt auf dem Londoner Friedhof Kensal Green begraben. Sein umfangreicher Nachlass wird im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt.
1989 wird in Wien die Internationale Erich Fried Gesellschaft für Literatur und Sprache gegründet. Sie verleiht seit 1990 den mit 15.000 Euro dotierten Erich Fried Preis.
Literatur über Erich Fried
- Erich Fried: „Mitunter sogar Lachen. Erinnerungen“, 208 Seiten, Verlag Klaus Wagenbach. Die Erinnerungen liegen auch als Hörbuch, gelesen von Helmut Qualtinger und erschienen bei „Der Audio Verlag“ vor.
- Moshe Zuckermann, Susann Witt-Stahl: „Gegen Entfremdung. Lyriker der Emanzipation und streitbarer Intellektueller – Gespräche über Erich Fried“, 128 Seiten, Westend Verlag
- Erich Fried: „Nicht verdrängen und nicht gewöhnen. Texte zum Thema Österreich“, 265 Seiten, Europaverlag bzw. Buchgemeinschaft Donauland, nur mehr antiquarisch erhältlich.
Weiterführende Links
Unter dem Titel „Liebeslyrik und Streitgedichte. Zum 100. Geburtstag von Erich Fried“ hat die Österreichische Nationalbibliothek eine Online-Ausstellung gestaltet.
Eine ausführliche Familiengeschichte der Familie Fried
Österreichisches Dokumentationsarchiv des Widerstands – Im Gedenken an Erich Fried 1921 – 1988
Und zuguter Letzt die ganze Fülle des literarischen Schaffens des Schriftstellers, erschienen im Verlag Klaus Wagenbach.
Deutschsprachige Exilliteratur und Bücherverbrennung im Überblick
Alle Einzelbeiträge über AutorInnen der deutschsprachigen Exilliteratur im „Wiener Bücherschmaus finden Sie auf der Seite Exilliteratur.
Einen Gesamtüberblick über die Themen Exilliteratur und Bücherverbrennung im Wiener Bücherschmaus finden Sie via weiterführender Links auf der Seite Bücherverbrennung und Exilliteratur im Nationalsozialismus.