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Alexander Moritz Frey – verkannt und lange Zeit vergessen

In „Das Haupt der Gorgo und weitere verschollene Seltsamkeiten“ aus der Edition Dunkelgestirn macht uns der Herausgeber Lars Dangel mit neun bislang noch nie in Buchform erschienenen phantastischen Erzählungen von Alexander Moritz Frey bekannt, die erstmals seit 100 Jahren wieder vorliegen. Nicht ohne auch auf die Verdienste von Thomas Pago und dessen Elsinor Verlag bei der Wiederentdeckung des vielschichtigen Werkes von Alexander Moritz Frey hinzuweisen.

Phantastik von Alexander Moritz Frey

Miss Marga – „Das Haupt der Gorgo“

Cover des Buches Das Haupt der Gorgo phantastische Geschichten von Alexander Moritz FreyMit „Das Haupt der Gorgo“ wurde erstmals ein ausschließlich aus Freys phantastischen Kurzgeschichten bestehender Band veröffentlicht.

Miss Marga, das Mädchen mit den Nervenhaaren, ist die Protagonistin der titelgebenden Geschichte. Jedes ihrer Haare war von Kindheit an mit einem inwendig mitwachsenden Nerv versehen, sodass sie jedes Haar einzeln bewegen konnte. Ihr Impresario hatte die Idee, das Phänomen der Gorgo mit Marga aufzuführen. Ihr Haar wurde in etwa hundert Zöpfe geflochten und deren Enden mit täuschend echt modellierten Schlangenköpfchen versehen.

Bei ihren öffentlichen Auftritten schlängelte sich das Haar schlangengleich auf ihrem Haupt und es schien, als ob Medusa oder eine ihrer beiden unsterblichen Schwestern leibhaftig vor einem stünde. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass ihr Anblick in fast allen Städten der Erde auf großes Interesse stieß.

In Breslau verliebte sie sich in einen Bahnassistenten. Dieser konnte ihre Neigung allerdings „nicht hemmungslos erwidern“:

„Im Auto, wenn er den Willen zur Vertraulichkeit zeigen wollte und den Arm um ihren Nacken legte, konnte es geschehen, dass sie aus Scherz eine Strähne vom Kopf herunter und über seine Hand kriechen ließ – als schöbe sich ein kühl-weiches Tier ihm in den Rockärmel. Er fiel fast in Ohnmacht und konnte doch nichts dagegen tun, denn von ihrer Seite war es ja Zärtlichkeit.“

Als er nervlich zerrüttet „die Bleistifte in seinem Büro bereits schlängelnde Bewegungen vollführen sah“, schrieb er ihr ab. Sein Brief erreichte sie in Genua, wo sie sich beruflich aufhielt. Dort trug es sich auch zu, dass sie Herrn Koppe – ein „breiter, gutmütiger, angejahrter Mensch in prächtigen Vermögensverhältnissen“ – begegnete. Herr Koppe verfiel ihr und ihrem Schlangenhaar sofort.

Die anschließenden dramatischen Ereignisse sollen hier zwecks Spannungserhalt nicht verraten werden.

Professor Laban Lautenschlags abenteuerliche Forschungen

Gleich drei Geschichten sind der Forschung von Professor Laban Lautenschlag gewidmet: Er macht sich an die Züchtung giftfreier Wanzen, veranstaltet eine Eisbergregatta, und nachdem er im Karneval verunfallt und ans Krankenlager gefesselt ist, forscht er im Bereich der Bebrütung von Hühnereiern. Allerdings führen die Überlegungen des engagierten Wissenschaftlers in den langen Tagen und Nächten, die er darniederliegt, über den unmittelbaren Anlass hinaus. So stellt er die zwar theoretische, nichtsdestotrotz hoch interessante Frage, ob die Psyche des Huhns, dessen Ei beispielsweise von einem Elefantenweibchen oder einer Tigerin bebrütet würde, nach dem Schlüpfen etwas Elefantisches oder Raubtierhaftes an sich hätte.

Über Dämonen, eine Mondfahrt und die Gefahren des Militarismus

Weitere phantastische Geschichten erzählen von einem Dämon und den Komplikationen, als dieser eine Stadt in der dritten Morgenstunde heimsucht, einem schlafenden Menschen und einem Hund das Herz herausreißt, miteinander vertauscht und wieder einpflanzt; einer Mondfahrt, deren Ziel darin besteht, Teile des Mondes mit Silberlack zu streichen, oder der Geschichte des Chemo-Physikers Bleibeil. Dieser hatte „das Problem der Ferntötung in allen Einzelheiten theoretisch und praktisch und die Apparatur bis auf ein Kästchen und drei Handgriffe herab vereinfacht …“ In der Geschichte wird seine Erfindung, mit der jedes lebende Wesen unabhängig vom Ort seines Aufenthaltes getötet werden kann, vom Militär vereinnahmt. Er sieht letztlich nur einen Ausweg: „Er gab bekannt, im Gebirge, in bestimmten Höhen, wichtige Überprüfungen noch vornehmen zu müssen. Dort allein gelassen, tötete er sich am Rande eines Abgrundes, indem er seine Erfindung gegen sich selbst wirksam werden ließ. Zum ersten und letzten Male gegen einen Menschen. Er wusste es so einzurichten, dass der Apparat mit ihm in die Tiefe gerissen und zerschmettert wurde.“

Freys Werk wird vom Kopf auf die Füße gestellt

Im ausführlichen, über sechzig Seiten umfassenden Nachwort zu „Das Haupt der Gorgo“ lässt uns Lars Dangel an seinen umfänglichen Kenntnissen über den Autor und sein Schaffen unter besonderer Berücksichtigung der einschlägigen Sekundärliteratur teilhaben. In seiner Analyse stellt er die Rezeption des Werkes von Alexander Moritz Frey nach einem Jahrhundert der zahlreichen Fehlinterpretationen wieder vom Kopf auf die Füße.

Unter anderem zeigt er auf, wie Alexander Moritz Frey – ab der Veröffentlichung seines Debütromans „Solneman der Unsichtbare“ – von zahlreichen Rezensenten und Kollegen wie Thomas Mann oder Carl von Ossietzky nahezu ausschließlich auf das grotesk-phantastische reduziert und der sozialkritische Grundton seines Schreibens negiert wurde. Abgesehen von seinem autobiografischen Antikriegsroman „Die Pflasterkästen“ und seinen Exilarbeiten positionierten ihn seine Verlage ebenfalls mit Vorliebe im Bereich der Phantastik. So erwies der Delphin-Verlag dem Autor einen Bärendienst, in dem er auf den Umschlag von „Solnemann der Unsichtbare“ folgendes Zitat von Thomas Mann druckte: „Gehört zum Allerbesten, was die phantastische Literatur von heute hervorgebracht hat.“ Dieses einseitige Marketing trug entscheidend dazu bei, dass die Auflagen seiner Bücher, abgesehen von „Die Pflasterkästen“, selten 2.000 bis 3.000 Exemplare überstiegen.

Tatsächlich ist die Phantastik im umfangreichen Werk von Alexander Moritz Frey nur vereinzelt zu verorten. Der Autor selbst schreibt: „[Das Buch] will Phantastik und Groteske nicht um ihrer selbst willen, nicht allein als belustigendes Geschnörkel hinbreiten, sondern als Kritik an Zuständen ausnutzen, an Einrichtungen, an geistigen und materiellen Verfassungen.“

Alexander Moritz Frey – Nationalsozialismus und Emigration

Alexander Moritz Frey war von einer humanistischen Sicht auf die Welt geprägt. So übte er in zahlreichen Beiträgen zwangsläufig Kritik am aufkommenden Nationalsozialismus und Adolf Hitler, mit dem er gemeinsam in einem Regiment gedient hatte.

„Ich grämte mich über Deutschland. Ich sah ergrimmt den verworrenen, kleinlich eigensüchtigen, keifenden Zustand Europas, seine schwächlichen Brutalitäten, seine brutalen Halbheiten, seine Heucheleien und Ängste.“

„Durch meine lange Zugehörigkeit zum Hitler Regiment kannte ich einige Menschen, die in der aufsteigenden nationalsozialistischen Partei bereits eine Rolle spielten. Ich wurde aufgefordert, mitzumachen – ich wurde wiederholt aufgefordert, Ich sagte: Nein – und ich sagte, weshalb ich nein sagen musste. Ich machte mir Feinde, denn sie sahen nicht ein, weshalb ein alter Kämpfer und einwandfreier Arier nicht mitmachen wollte.“

1933 emigrierte er unter spektakulären Umständen nach Österreich und 1938 weiter in die Schweiz. Nachzulesen im Wiener Bücherschmaus im Beitrag „Exilliteratur – Teil 8: Alexander Moritz Frey“

Trotz seiner prekären Lebensumstände im Schweizer Exil konnte er sich nach 1945 nicht zu einer Rückkehr in die alte Heimat entschließen. Von bitterer Armut begleitet, war er in der Schweiz keineswegs gern gesehen – die Staatsbürgerschaft erhielt er erst kurz vor seinem Tod 1957.

Detailreich geht das Nachwort auf Alexander Moritz Freys Auseinandersetzung mit den „Daheimgebliebenen“ ein. Gemeint sind all jene Autorinnen und Autoren, die im Nationalsozialismus ihre Karriere vorantrieben und bereits wenige Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches freigesprochen von jeglicher Verantwortung meist wieder gut im Geschäft waren.

Alexander Moritz Frey: Humanist und Sozialkritiker

Das Nachwort ladet ein, Alexander Moritz Frey als einen feinsinnigen Beobachter der menschlichen Natur kennenzulernen. Es gibt der Hoffnung Ausdruck, dass der Autor endlich Aufnahme in die Galerie der großen literarischen Sozialkritiker der Weimarer Republik wie Hans Fallada oder Alfred Döblin findet und sein Werk dem passenden Publikum zurückgegeben wird.

Über das Buch und seinen Herausgeber

„Das Haupt der Gorgo und weitere verschollene Seltsamkeiten“, in Elefantenhaut-Papier gebunden, mit Silberprägung am Buchrücken und Lesebändchen versehen, offeriert auch gestalterischen und haptischen Genuss. Das Buch, vom Herausgeber Lars Dangel und dem Illustrator Jörg Neidhardt signiert, ist auf 100 nummerierte Exemplare limitiert.

Autor: Alexander Moritz Frey
Herausgegeben: Lars Dangel, Illustrator: Jörg Neidhardt
Titel: Das Haupt der Gorgo und weitere verschollene Seltsamkeiten, in Kartonschuber
Verlag: Edition Dunkelgestirn, Neustadt in Sachsen
144 Seiten, Preis: 28,50 €

Wer mehr über den Herausgeber der phantastischen Geschichten von Alexander Moritz Frey erfahren möchte, ist eingeladen, das informative und humorvolle Interview „Im Gespräch mit: Lars Dangel“ auf der Site Phantastik-News.de zu genießen.

Fotocredit: © Edition Dunkelgestirn

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