Exilliteratur – Teil 1: Albert Drach
In der Erzählung „Lunz“ erinnert sich Albert Drach an die Bergung einer Wasserleiche und deren Wirkung auf ihn, den damals fünfjährigen Knaben, erinnern:
„Das Gesicht des Toten war übermäßig dick, die Nase fehlte, und auch an den Lippen waren Stücke angeblich von Karpfen abgefressen. In den Augenhöhlen schien überdies keine Pupille mehr zu stecken. (…) Als die Leute, die ihn auf den Leiterwagen geworfen hatten, bemerkten, daß ein Kind, nämlich ich, den Vorgang gesehen, schleuderten sie einen Jutesack über das wenig anziehende Gesicht des ertrunkenen Betrunkenen. Ich aber hatte genug gesehen, um nicht mehr sterben zu wollen.“
Albert Drach auf der Suche nach der Unsterblichkeit
Auf seiner Suche nach Unsterblichkeit wird er beim Vater fündig. Dieser lässt ihn wissen, dass Helden und Künstler Unsterblichkeit erlangen.
Da er sich weder zum Feldherrn noch zum Maler oder Komponisten berufen fühlt, entscheidet er sich zwecks Erreichung der Unsterblichkeit für eine Zukunft als Schriftsteller.
Der kleine, aber feine Unterschied zwischen physischem Überleben und der Nachwelt unvergessen bleiben ist ihm noch nicht erklärlich und so empfindet Albert Drach das Unsterblichkeitsversprechen des Vaters als Täuschung:
… da wollte ich wenigstens das Ende meines Daseins möglichst lang hinauszögern und wenn ich Gefahren aufsuchte, was ich häufig tat, die Probe darauf einsetzen, daß ich sie immerhin bestand und daß, wenn ich überhaupt zu etwas talentiert war, dieses Talent darin bestand, unter allen Gegebenheiten mit dem Leben davon zu kommen.
Albert Drach wird bei seinen frühen Schreibversuchen vom Vater unterstützt. Dieser ermöglicht 1919 mit einer finanziellen Zuwendung die Veröffentlichung des Gedichtbandes „Kinder der Träume“ bei Amalthea. Nur einen Satz aus diesem Frühwerk wird Albert Drach bis zu seinem Lebensende gelten lassen:
Ich will das Himmlische sehen, mit meinen irdischen Augen.
Nach der Matura entschließt sich Albert Drach zum Studium der Rechtswissenschaften und promoviert 1926. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit führt er eine Anwaltskanzlei in Mödling bei Wien.
Albert Drach: Auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus
Trotz des wachsenden Antisemitismus und dem ab März 1938 auch in Österreich geltenden Berufsverbotes für jüdische Anwälte will Albert Drach nicht emigrieren. Da er in Mödling Repressalien ausgesetzt ist, zieht er nach Wien. Seiner Halbschwester Alma kann ihn letztlich doch von der Notwendigkeit der Emigration überzeugen. Ende Oktober 1938 verlässt er Wien und reist mit dem Zug nach Jugoslawien.
So entkommt er den Novemberpogromen, wird zuvor allerdings Zeuge der Pogrome im Anschluss an die Annexion Österreichs ab März 1938. In seinem stark autobiografisch gefärbten Roman ‘Z. Z.‘ das ist die Zwischenzeit. Ein Protokoll schreibt er:
Während nun der Sohn unter weiblichem, nicht aber männlichem Widerspruch, ja ohne den eigenen, leitertragend vor dem auf der anderen Straßenseite liegenden jüdischen Geschäft für Lederwaren angelangt war, wurde ihm sowohl von dem Schlossergesellen als auch von dem Schneidergehilfen die Anweisung gegeben, nunmehr vor dem hochgelegenen Schild das Sprossenholz anzulegen und auf die Ladenankündigungstafel eine Inschrift des Inhalts anzubringen, daß nur ein Schwein bei Juden einkaufe.(…) Ein Pelzhändler, welcher bis dahin als geachteter Bürger gegolten und dessen jüdische Abstammung niemand vermutet hatte, war zwar nur genötigt worden, ähnliche Arbeiten in Kopfhöhe und ohne Leiterverwendung auszuführen, erhängte sich aber gleich danach wegen vermeintlicher Schande, und zwar etwas höher an einem Dachbodenbalken. (…) Nach Bemalung aller jüdischen Geschäftstafeln wurden besonders häßliche Geschäftsinhaber semitischer Zugehörigkeit in die Auslagen gesetzt und daselbst von einem noch häßlicheren, nunmehr nationalsozialitischen Ladenschwengel photographiert, der später der angesehenste Mann im Ort wurde, nachdem er die reichste Geschäftsinhaberin geheiratet hatte.
Ende November 1938 erreicht Albert Drach Paris. Sein weiterer Weg führt ihn nach Nizza, wo er bis zur Kriegserklärung Großbritanniens und Frankreichs am 3. September 1939 an das Deutsche Reich eine relativ unbeschwerte Zeit verbringen kann.
Danach wird Albert Drach mehrmals interniert, kann aber immer wieder nach Nizza zurückkehren. Als die Vichy Regierung mittels zweier „Judenstatute“ im Winter 1941/42 den Ausschluss der jüdischen Bevölkerung aus dem öffentlichen Leben vollzieht und im Sommer 1942 die Deportation ausländischer und französischer Jüdinnen und Juden aus der Südzone in die Vernichtungslager in Osteuropa beginnt, wird Albert Drach verhaftet und ins Camp de Rivesaltes gebracht. Dort legt er seinen Heimatschein vor und übersetzt die Abkürzung IKG auf dem Dokument nicht als Israelitische Kultusgemeinde, sondern mit „Im katholischen Glauben“. Neben der religiösen gibt es allerdings auch noch eine rassische Definition. Diese besagt, dass Menschen mit drei jüdischen Großeltern Juden sind. Nachdem er die mütterliche Abstammung mit Dokumenten seiner Halbschwester belegt, hat er nur mehr väterlicherseits jüdische Vorfahren. Am nächsten Tag darf er das Lager verlassen.
Albert Drach versteckt sich in Valdeblore, einem kleinen Ort nahe der italienischen Grenze und überlebt dort bis zum Eintreffen der US-Truppen.
Albert Drachs Heimkehr nach Österreich
1948 kehrt er nach Österreich zurück und sperrt seine Anwaltskanzlei wieder auf. Nach langen juristischen Auseinandersetzungen erhält er seine Villa in Möding 1955 rückerstattet.
1951 lernt er seine spätere Frau, die Sängerin Gerty Rauch, kennen. 1952 wird Sohn Wilhelm geboren, 1954 folgt Tochter Jenny.
Auf der Suche nach einer Publikationsmöglichkeit für das „Große Protokoll gegen Zwetschkenbaum“, der Roman entstand 1939 im französischen Exil, schreibt Albert Drach 1959 an den Rowohlt Verlag.
In dem Brief äußert er sich unter anderem über sein literarisches Markenzeichen, den Protokollstil folgendermaßen: Ueberzeugt, dass es absichtslose Kunst in epischer Form nicht gibt, habe ich mich in der Wahl zwischen Beschreibung und Parteinahme für die zweite entschieden, doch ist versucht, den Leser nicht durch Ueberredung, sondern durch Erzeugung von Widerspruch bei einer bis zum Ende gegen den Titelhelden gerichteten Darstellung für ihn im Kampf mit seinem Gegenspiele, dem Protokoll, in das er verstrickt ist, und dem Namen, der sein Stigma bleibt, zu gewinnen.
„Gegenpositionen beim Leser will er provozieren, betont er wiederholt, durch die methodisch falsche Protokollierung das richtige Bild erzeugen. Seine Helden seien allesamt Opfer, denen durch das Protokoll, das Leben, den Tratsch, die Nachbarn, den Zufall, zusammenfassend die Wirklichkeit Unrecht geschehe. Die Wirklichkeit sei aber nicht die Wahrheit.“ Er „läßt diese Wirklichkeit in all ihrer Ungerechtigkeit wirken, um die Wahrheit durchscheinen zu lassen“.
Wer Albert Drach unterstellt, sein Protokollstil würde nur dem altösterreichischen Kanzleideutsch entsprechen, oder ihn mit Herzmanovsky-Orlando, dem Autor so mancher kakanisch-altösterreichischen Skurrilität, vergleicht, hat mit scharfer Reaktion bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zu rechnen.
Späte Anerkennung
Obwohl viele Werke von Albert Drach in den Jahren bis 1938 entstehen, wird er erst 1964, er ist zu diesem Zeitpunkt 62 Jahre alt, mit dem „Großen Protokoll gegen Zwetschkenbaum“ einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Das Schicksal des Juden Schmul Leib Zwetschkenbaum führt den LeserInnen den Antisemitismus am Ende der Monarchie und in der Zeit der Ersten Republik exemplarisch vor Augen. Der Roman zeigt, wie ein Mensch mittels Vorurteilen und daraus resultierenden Beschuldigungen zum Opfer gemacht wird:
Er meinte, nichts gegen sie (Juden) zu haben. Aber hier handle es sich nicht darum, ob der Arzt Meerschweinchen hasse, an denen er Vivisektion betreibe, sondern nur, ob dieses sich zur Probe im Heilverfahren eigne. Seit geraumer Zeit, schon mit geringfügigen Unterbrechungen seit der Arche Noahs, sei das Vorhandensein, die Reinerhaltung und abgesonderte Aufzucht von Juden durch deren besondere Eignung zum schwarzen Mann für die Völker gerechtfertigt gewesen.
Mit 86 Jahren wird Albert Drach mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt. Als Marcel Reich-Ranicki dieses Ereignis unter dem Urteilsspruch „Lauter Unglücke“ zusammenfasst, kommt der Autor zu dem Schluss, wer einen solchen Plural bildet, könne nicht Deutsch und weiter:
Reich-Ranicki ist das einzige Unglück in Deutschland.
Es folgen weitere Auszeichnungen, wie das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst und der Manès-Sperber-Preis.
Albert Drach stirbt am 27. März 1995 im Alter von 92 Jahren in Mödling.
Werke und weiterführende Informationen
Albert Drach 1902 – 1995: Werke in zehn Bänden, Zsolnay Verlag.
Eva Schobel: Albert Drach. Ein wütender Weiser. Residenz Verlag, Salzburg 2002.
Hans Heinrich: Erinnerung an Albert Drach. WM-Literatur-Verlag, Weilheim 2009.
Internationalen Albert Drach Gesellschaft.
Archivaufnahmen mit Albert Drach – Österreichische Mediathek.
Alle Einzelbeiträge über AutorInnen der deutschsprachigen Exilliteratur im „Wiener Bücherschmaus finden Sie auf der Seite Exilliteratur.
Einen Gesamtüberblick über die Themen Exilliteratur und Bücherverbrennung im Wiener Bücherschmaus finden Sie via weiterführender Links auf der Seite Bücherverbrennung und Exilliteratur im Nationalsozialismus.
Fotoquelle: Zsolnay Verlag, Buchcover ‘Z. Z.‘ das ist die Zwischenzeit.