Kinder- und Jugendliteratur, Rezensionen
Schreiben Sie einen Kommentar

Die Schneiderin des Nebels

Mit Poesie den Blick schärfen.

Cover des Buches Die Schneiderin des NebelsSie wollen ihre Falten verstecken. Sie möchten die Eltern nicht mehr sehen. Sie haben zuviele Schulden. Nur nicht genau hinschauen. Abhilfe schafft ein kleines Mädchen namens Rosa. Ihre Stoffkreationen aus Nebelfäden helfen den Menschen, ihre Falten, die Eltern, zuviele Schulden und vieles andere zu verschleiern. Doch immer droht der Nebel sich zu lichten und er muss erneuert werden. Dazu fängt Rosa den Nebel jeden Morgen am Flussufer mit einem Schmetterlingsnetz ein und beginnt zu spinnen. Tag für Tag. Eines Tages erhält Rosa einen Brief ihres lange abwesenden Vaters. Erinnerungen tauchen auf an eine frohe Kindheit und deren abruptes Ende. Es sind schmerzhafte Erinnerungen; gleichzeitig jedoch schärft sich Rosas Wahrnehmung, ihr persönlicher Nebel lichtet sich. Als der Vater zurückkehrt, hat Rosa ein ein spezielles Geschenk für ihn. Gewebt aus Sonnenstrahlen.

Wie schon in „Die große Wörterfabrik“ oder „Der Bär und das Wörterglitzern“ öffnen Agnès de Lestrade (Text) und Valeria Docampo (Illustration) mit ihrem neuen Buch „Die Schneiderin des Nebels“ wieder eine Tür in die Welt der Poesie und Melancholie. Rosas (Um-)Welt ist zunächst vernebelt, dunkel. Valeria Dacampo unterstreicht diese Düsternis mit vereinzelten Transparentpapier-Seiten, darauf schwarz gezeichnete Szenen, und kalten Farben. Als der Vater ankündigt, Rosa bald zu besuchen, ändern sich die Farben. Strahlendes Gelb, Gold, Weiß dominieren nun. Und wer genau hinsieht, findet immer wieder kleine, reizvolle „stoffliche Andeutungen“: die an einem Schal strickende Mutter, ein Wollknäuel als dünner Strich angedeutet, Spindel, die hohen Bäumen ähneln …

Warum wollen die Menschen so vieles unter den Teppich kehren? Wo war der Vater in der Zwischenzeit? Was ist mit der Mutter? Agnès de Lestrades Text lässt viele Leerstellen und Freiräume offen zum eigenen (Weiter-)Spinnen von Geschichten. Und wahrscheinlich werden diese so vielfältig sein wie die Möglichkeiten, Sonnenstrahlen und Nebelfäden einzufangen.

Petra Öllinger
Agnès de Lestrade (Text) & Valeria Docampo (Illustrationen): Die Schneiderin des Nebels
Aus dem Französischen von Anna Taube
Mixtvision, München 2018
48 Seiten, gebunden mit Leinenrücken, € 18,40 (Ö)

Über Valeria Docampo
Über Agnès de Lestrade

© Cover: Mixtvision / Illustration Valeria Docampo

Sie haben eine Frage oder Anregung? E-Mail an den Wiener Bücherschmaus

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert