Exilliteratur – Teil 18: Else Feldmann
Else Feldmann ist eine jener Autorinnen, deren Lebensspuren vom Nationalsozialismus fast völlig ausgelöscht wurden. 1884 in Wien geboren, wächst sie gemeinsam mit einem „Schippel“ Geschwister in ärmlichen Verhältnissen auf. Als ihr Vater arbeitslos wird, bricht sie die Ausbildung zur Lehrerin ab und beginnt als Arbeiterin in einer Miederwerkstatt.
Else Feldmann – eine sozial und politisch engagierte Autorin
Wann Else Feldmann journalistisch bzw. literarisch zu arbeiten beginnt, kann, da weder einen Nachlass noch entsprechende Berichte über Sie vorliegen, nicht verlässlich bestimmt werden.
Die erste bisher entdeckte Publikation, die Erzählung „Bettina und der Faun“, erschien am 5. Juli 1908 in der liberalen Wiener Tageszeitung „Die Zeit“.
Ihre Erzählungen, Rezensionen, Feuilletons veröffentlicht sie unter anderem in „Der Abend“, „Neue Freie Presse“ und der „Arbeiter-Zeitung“, dem Zentralorgan der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs (SDAPÖ). Vor allem macht sie sich mit sozialkritischen Reportagen aus den Armenbezirken Wiens und aus dem Milieu des jüdischen Proletariats, dem sie selbst entstammt, einen Namen.
1916 wird ihr Theaterstück „Der Schrei, den niemand hört“ auf der Wiener Volksbühne uraufgeführt. Die Kritiken sind zwiespältig. Neben einigen wohlwollenden Rezensionen, die das Talent der Autorin in den Mittelpunkt stellen, ist der Tenor einer Reihe von Besprechungen ablehnend bis gehässig. Dem Schauspiel ist letztlich kein großer Erfolg beschieden und es wird bald vom Spielplan genommen.
Während des Ersten Weltkrieges schließt sich Else Feldmann dem Kreis um den Sozialreformer Josef Popper Lynkeus an. In seinem Werk „Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage“ entwickelt er bereits 1912 die Idee eines staatlich garantierten Grundeinkommens.
Else Feldmann beteiligt sich 1922 an der Gründung der Wiener Gruppe „Clarté“, einer 1919 von Henri Barbusse und Romain Rolland gegründeten Vereinigung von Intellektuellen zur Bekämpfung des Krieges und seiner Ursachen.
Über ihren autobiografisch geprägten Romanerstling „Löwenzahn“ schreibt Felix Salten in der „Neuen Freien Presse“:
„Eine Kindheit, steht da als Untertitel, und das Buch erzählt in der Ichform die Geschichte einer in Armut verlebten Kinderzeit. Ein kleines Mädchen wächst auf, in einer Armeleutewohnung der Großstadt. Einige Stuben, von Stickluft und Küchendunst erfüllt, in irgendeiner Mietskaserne, die wieder neben anderen Mietskasernen in einer der vielen traurigen Gassen steht, aus denen sich die sogenannten volkreichen Bezirke zusammensetzen. Wien? Ja, Wien. Aber nicht die Stadt der Wiener Literatur oder des Wiener Walzers oder des Wiener Frohsinns oder sonst eines typischen, hundertfach plakatierten Wiener Merkmales, sondern ein anonymes, eintönig graues, unendlich trübseliges Wien, ein Großstadtgefängnis, darin man gelebt haben, darin man heimisch sein muss, um zu erkennen, wie gut hier die Trostlosigkeit der Brigittenau und mancher elender Teile der Leopoldstadt getroffen ist. (…) In diesen dumpfen Stuben also, in diesen armen Straßen wächst ein kleines Mädchen auf. Und erzählt ihr Leben. Von ihren ersten Eindrücken angefangen, von ihren frühesten Erinnerungen bis zur Schule. Dann durch die Schuljahre bis zur Erwachsenenheit. (…) Es ist ein seltsames Buch, das man mit Schmerz und mit Entzücken liest und das man unweigerlich bewundert, das man bedingungslos liebt, wenn man es gelesen hat.“
Obwohl sie literarisch bzw. journalistisch sehr produktiv ist, bleiben Else Feldmann gesicherte finanzielle Verhältnisse zeitlebens verwehrt. In dem Beitrag mit dem Titel „Ohne Geld“ bringt sie ihre Situation auf den Punkt:
Man nimmt einen Anlauf, setzt sich hin und schreibt Anschriften, vierzig Briefumschläge mit dem Namen, Ort und Straße von Zeitungen! (Ich besitze die wertvolle Liste, die mir einmal ein lieber Kollege von seiner eigenen Liste selbstlos abschrieb.) Und schickt weg. Vierzig Manuskripte . . . Einmal erhalte ich – schon auf die zweite Mahnung, meine Geduld war auch einmal zu Ende – aus einem entfernt gelegenen Teil Posens sechs Mark, nebst Entschuldigungsschreiben. Und ein andres Mal sogar drei Mark. Drei Mark sind besser als gar nichts, denke ich, auf diese Weise habe ich schon fast meine eigenen Spesen für Papier, Porto, Schreibmaschinenabschrift, Fingerschwielensalbe usw. hereingekriegt – der Geist arbeitet umsonst.
„Der Leib der Mutter“ erscheint 1924 als Fortsetzungsroman in der „Arbeiter-Zeitung“, 1931 in Buchform. Die Illustrationen stammen von Carry Hauser. In „Die Zeit“ schreibt Karl Markus Gauß am 12. November 1993 unter dem Titel „Vorstadtengel“ über den Roman von Else Feldmann:
„Eine düster-genaue Sozialreportage und ein großer, expressionistischer Stadtroman, eine erschütternde Studie über das proletarische Wien und ein phantastisches Prosagemälde voll visionärer Szenen des Grauens – das alles ist ‚Der Leib der Mutter‘, ein Buch, das über sein Verbot, über die Ermordung der Verfasserin verlorengegangen war und jetzt aus bald sechzigjähriger Verschollenheit neu aufgelegt wurde.“
Wenige Tage bevor in Deutschland Reichspräsident Hindenburg am 30 Jänner 1933 Hitler zum Reichskanzler ernennt, gründet Else Feldmann in Wien gemeinsam mit Max Winter, Luitpold Stern, Theodor Kramer, Marie Jahoda, Käthe Leichter und einer Reihe weiterer AutorInnen die „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“. In der kurzen Zeit ihres Bestehens entwickelt sie eine engagierte antifaschistische Tätigkeit. Die zwangsweise Auflösung der Vereinigung erfolgt, nachdem das Parlament ausgeschaltet und die Parteien und Organisationen der Arbeiterbewegung im austrofaschistischen Ständestaat verboten sind, bereits nach etwas mehr als einem Jahr, im März 1934.
In „Martha und Antonia“ erzählt Else Feldmann die berührende Geschichte zweier Schwestern, die zur Zeit der „Belle Epoque“ im Vorstadtmilieu Wiens um ein menschenwürdiges Überleben kämpfen. Einen Tag vor Ausbruch des Österreichischen Bürgerkrieges am 12. Februar 1934 veröffentlicht die „Arbeiter-Zeitung“ die 78. Folge des Romans. Die restlichen Kapitel gelten seither als verschollen.
Else Feldmann: Schreibverbot und Ermordung
Als am 12. März 1938 die Deutsche Wehrmacht Österreich besetzt, ist es für Else Feldmann auch mit den wenigen Veröffentlichungsmöglichkeiten in der Zeit des Austrofaschismus vorbei und ihr Werk wird von den Nationalsozialisten auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt.
Nach der Deportation ihres Bruders Heinrich nach Riga und dem Ende ihrer Schwester Anna in der Euthanasieanstalt Schloss Hartheim wird Else Feldmann am 14. Juni 1942 von der Gestapo abgeholt und im Vernichtungslager Sobibor ermordet.
Weiterführende Informationen
Ein Beitrag von Elisabeth Debazi über Else Feldmann auf der Seite des „Wien Museums“
Die Else-Feldmann-Promenade im 21. Bezirk und der Else-Feldmann-Park in der Leopoldstadt erinnern in Wien an die Schriftstellerin.
In der Edition Atelier sind folgende Bücher von Else Feldmann erschienen: Flüchtiges Glück – Reportagen aus der Zwischenkriegszeit und Travestie der Liebe.
Exilliteratur und Bücherverbrennung im Überblick
Alle Einzelbeiträge über AutorInnen der deutschsprachigen Exilliteratur im „Wiener Bücherschmaus finden Sie auf der Seite Exilliteratur.
Einen Gesamtüberblick über die Themen Exilliteratur und Bücherverbrennung im Wiener Bücherschmaus finden Sie auf der Seite Bücherverbrennung und Exilliteratur im Nationalsozialismus.
Fotoquelle: Wiener Bücherschmaus