Exilliteratur - Bücherverbrennung
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90 Jahre Bücherverbrennung

Bücherverbrennung – Exilliteratur

In der Zeit des Nationalsozialismus gab es zwischen März und Oktober 1933 in mehr als 90 deutschen Städten 102 bisher bekannte Bücherverbrennungen. Über die fünf Jahre später stattfindende „Bücherverbrennung in Salzburg“ haben wir gesondert Informationen im Wiener Bücherschmaus zusammengetragen.

Viele weitere Beiträge zu den Themen Bücherverbrennung – Exilliteratur – ExilautorInnen bieten wir auf der Site Bücherverbrennung und Exilliteratur im Nationalsozialismus

Schreib das auf Kisch!

Stacheldraht als Symbol für die Verfolgung der von Bücherverbrennung und Exil betroffenen AutorInnen Als der Reichstag am 27. Februar 1933 brennt, kommt es zu einem ersten Höhepunkt der Verfolgung. Adolf Hitler nutzt das Momentum und setzte auf der Grundlagen von Notverordnungen die Grundrechte außer Kraft. Das Post- und Fernmeldegeheimnis, die Meinungs-, Presse- und Vereinsfreiheit werden aufgehoben.

Der Autor Egon Erwin Kisch wird in den Morgenstunden des 28. Februar um fünf Uhr in der Früh von zwei Kriminalbeamten abgeführt:

„So, und jetzt geht es zur I A, der Politischen Polizei. Auf dem Korridor ist es schwarz von Menschen. Der Erste, den ich von Weitem erblicke, ist der Rechtsanwalt Dr. Apfel, der Verteidiger von Max Hölz. Fein, denke ich, fein, dass er da ist, der kann gleich für mich intervenieren. ‚Hallo, Dr. Apfel, ich bin verhaftet.‘ ‚Ich auch‘, sagt er nur.

Und schon sehe ich andere. Carl von Ossietzky, Deutschlands Demokrat, der unter einem Hagel von Spott erklärt hatte, man müsse Thälmann wählen, denn ‚wer Hindenburg wählt, wählt Hitler.“ Heute ist es genau ein Monat, seit Hindenburg das deutsche Volk an Hitler ausgeliefert hat, seit einem Monat lacht von den demokratischen und sozialdemokratischen Hindenburgwählern keiner mehr. Da sitzt Erich Mühsam, Idealist, Humorist und Anarchist, ein ewiger Junge trotz des Vollbarts, da sitzen die Romanschriftsteller Ludwig Renn und Kurt Kläber, Dr. Hodann, der Sexualforscher, der Abgeordnete Schulz-Neukölln, Otto Lehmann-Rußbüldt, der alte Obmann der Liga für Menschenrechte, Dr. Schminke, der sozialistische Stadtarzt, Vorkämpfer für Sozialmedizin in Deutschland . . . Da sitzen noch viele andere, für welche die nächtliche Verhaftung von heute, dem 28. Februar 1933, die erste Station auf dem direkten Wege zu ihrer Opferung bedeuten wird. Sie wissen es schon heute.“

Egon Erwin Kisch: Der erste Schub, 1933.

Bücherverbrennung – Tod und Exil

Bücherverbrennung 1933 von Otto Gerhausen Die Bücherverbrennungen von 1933, mit Ihrem Höhepunkt am 10. Mai in Berlin sind ein weiteres Fanal der Barbarei. Der Großteil der antifaschistischen AutorInnen befindet sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Exil. Insgesamt verlassen das faschistische Deutschland circa 2.500 AutorInnen und PublizistInnen.

Nicht alle können oder wollen fliehen. So befindet sich der Herausgeber der „Weltbühne“, Schriftsteller und Pazifist Carl von Ossietzky zu diesem Zeitpunkt bereits in Schutzhaft. Auch die Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis 1936 rettet sein Leben nicht. Durch die im KZ erlittenen Torturen schwer leidend, stirbt er 1938 unter Polizeiüberwachung im Krankenhaus.

Auch der ebenfalls von Egon Erwin Kisch erwähnte Autor Erich Mühsam entkommt seinen Häschern nicht. Er wird 1934 im KZ Oranienburg ermordet.

Erich Kästner bleibt ebenfalls im Deutschen Reich. Er wird Augenzeuge der Verbrennung seiner Bücher am Opernplatz in Berlin und hat Glück. Er wird von der Gestapo verhaftet, kommt aber wieder frei. Mit Schreibverbot belegt, geht er den Weg der inneren Emigration und veröffentlicht unter verschiedenen Pseudonymen.

Der politisch denkende, meist links orientierte Teil der SchriftstellerInnen im Exil schreibt konsequent gegen den Faschismus an.

Das Braunbuch

So erscheint bereits im Juli 1933 in Paris das „Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror“. Unter den Mitarbeitern befinden sich Alexander Abusch (1902 – 1982), Willi Münzenberg (1989 – 1940), Otto Katz (1895 – 1952), Alfred Kantorowicz (1899 – 1979) und Bruno Frei (1897 – 1988). Der Schutzumschlag wird von John Heartfield (1891 – 1968) gestaltet.

Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit dem Brand des Reichstages und der Rolle der NSDAP im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Reichstagsbrandprozess in Berlin, während der zweite Teil sich unter anderem mit der Zerschlagung der ArbeiterInnenorganisationen, den Konzentrationslagern und der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung auseinandersetzt. Es wird in 17 Sprachen übersetzt. Für Deutschland bestimmte Exemplare werden als „Reclamhefte“ unter dem Titel „Hermann und Dorothea“ von Johann Wolfgang von Goethe ins Land geschmuggelt.

„Die Prüfung“ – Roman über ein deutsches KZ

Willi Bredel (1901 – 1964) ist es vorbehalten, 1933/1934 mit „Die Prüfung“ den ersten, auch international beachteten Roman über ein deutsches Konzentrationslager zu veröffentlichen.
Über die Entstehung von „Die Prüfung“ schreibt Bredel:

„In dreizehn Monaten Konzentrationslagerhaft, in Einzelhaft und in Dunkelhaft, in den Nächten, in denen ich ausgepeitscht wurde, in den übrigen Nächten, in denen ich das Schreien, Stöhnen und Wimmern meiner misshandelten Genossen miterleben musste, schrieb ich in Gedanken an einem Buch über diese Todesstätte. Weder Papier noch Bleistift hatte ich und wochenlang nicht einmal Licht, aber ich schrieb und schrieb, schrieb vom Wecken bis tief in die Nacht. Einige Kapitel schrieb ich in verschiedenen Varianten und wählte dann die aus, die mir am gelungensten erschienen. Fertige Kapitel und Passagen wiederholte ich mir in Gedanken so oft, bis ich sie beinahe auswendig kannte. Dreizehn Monate schrieb ich so ununterbrochen. Diesen Roman nahm ich, als ich durch das alte Zuchthaustor schritt, als Konterbande im Kopf mit in die Freiheit.“

Aus: „Wie ich Schriftsteller wurde“ – Vorwort. Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Band I, Aufbau Verlag DDR, 3. Auflage 1982, S. 10.

Die Deutsche Freiheitsbibliothek

Alfred Kantorowicz wiederum gründet ein Jahr nach der Bücherverbrennung in Paris unter dem Namen Deutsche Freiheitsbibliothek eine „Bibliothek der verbrannten Bücher“. Am Eröffnungstag zählt die Freiheitsbibliothek über 11.000 Bücher. Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht wird die Bibliothek zerstört.

Nicht immer willkommen

Die strengen Einwanderungsbestimmungen der Zielländer stellen für die meisten EmigrantInnen hohe und manchmal nicht zu überwindende Barrieren dar. Willkommen sind die Wenigsten und eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung bzw. eine Arbeitserlaubnis ist die Ausnahme. Meist haben nur Prominente bzw. über persönliche Beziehungen verfügende AutorInnen die Chance, ein Einbürgerungsverfahren erfolgreich zu absolvieren.

Bert Brecht, der in der Zeit seines Exils unter anderem in Frankreich, Dänemark, Schweden, Finnland und den USA lebt, schreibt in „An die Nachgeborenen“:

„Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd,
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.

Dabei wissen wir doch:
Auch der Hass gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Auch wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber freundlich nicht sein.“

Verstreut in alle Winde

Die ExilautorInnen sind rund um den Globus verstreut: Sie finden, wenn auch oft nur zeitlich begrenzt, in einer Reihe von europäischen Staaten Aufnahme. Es verschlägt sie nach Nord- und Südamerika, Afrika, Asien, Australien und Neuseeland.

„Zentren“ der deutschen Exilliteratur entstehen beispielsweise in Prag, Paris, Amsterdam, London, Moskau, New York und Mexiko-Stadt.

Der jüdische Arbeiterdichter und Kabarett-Autor Walter Lindenbaum (1907 – 1945) wurde im KZ-Buchenwald ermordet. Die folgenden Zeilen sind aus seinem Gedicht „Juden am Bahnhof“.

„Bahnhofstelle. Kofferträger. Menschenmenge. Lärm. Geschrei.
‘Nächster Zug geht neunzehn zwanzig, drüben auf Gleis zwei.‘
Eine Viertelstunde Zeit noch und dann dampft der Zug davon.
Ach, wer kennt nicht dieses Warten, dumpf und bang auf dem Perron.
Auf der Bahnhofsuhr die Zeiger kriechen unbarmherzig kalt,
Denn die Zeit kennt keine Ruhe und keinen Aufenthalt.
Händedrücken, Segenswünsche. Wehmut jedes Herz befällt.
Was ist los? Nichts. Ein paar Juden fahren in die weite Welt.“

Not und Isolation

Viele der Flüchtlinge, abgeschnitten vom größten Teil ihres Publikums und von ihren Tantiemen, sind mit großer Not konfrontiert. Sie können nur durch Zuwendungen und Solidarität von FreundInnen und UnterstützerInnen sowie durch die Zahlungen von Hilfskomitees in den Gastländern überleben.

„Nun müssen wir von allen scheiden,
Was Kindheit uns und Wachstum war.
Wir sollen selbst die Sprache meiden,
Die unserer Worte Herz gebar.“

Aus: „Auswanderer“ von Berthold Viertel (1885 – 1953)

Zu den beschränkten Publikationsmöglichkeiten der ExilautorInnen zählen beispielsweise neben den Verlagen Querido in Amsterdam, Oprecht in Zürich und dem AutorInnenverlag El libro libre in Mexiko-Stadt auch literarische Monatsschriften. Dazu zählen „Das Wort” in Moskau und „Die Sammlung” von Klaus Mann in Amsterdam herausgegeben sowie „Der Aufbau” eine Exilzeitung aus New York und das „Pariser Tageblatt”.

Die oft als demütigend empfundene Situation, nicht in der Lage zu sein, für sein eigenes Auskommen zu sorgen und auf Kosten anderer zu leben, belastet viele AutorInnen schwer und hinderte sie am Schreiben.

„Gott hat mich in ein fremdes Land geführt –
Nein, hingesandt, versiegelt und verschnürt –
Ganz willenlos. Und alles ist hier fremd:
Die Kost, der Trunk, die Luft, das Wort, die Tracht –
Und was ich trag‘, geborgt, nichts mein als nur das Hemd
Am Leib – und noch das Heimweh, das ich mitgebracht.“

Martina Wied (1882 – 1952) verfasst diese Verse als Teil des Gedichtes „Die Insel“. Die Zeit ihrer Emigration verbringt sie in Großbritannien. 1947 kehrt Sie nach Wien zurück.

Das immer weitere Vordringen des Faschismus, die Einsicht, nur mehr für einen sehr eingeschränkten LeserInnenkreis zu schreiben und von der Heimat zusehends vergessen zu werden, führt bei vielen zu Vereinsamung und Depressionen. Dieser entziehen sich unter anderem Kurt Tucholsky, Stefan Zweig, Ernst Weiß, Walter Hasenclever, Ernst Toller und Walter Benjamin durch Selbstmord.

Empfehlungen zum Thema Bücherverbrennung – Exilliteratur

„Verbrannte Bücher“, ein Bildungs- und Informationsportal des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien.

„Verbrannte Orte“ bietet einen Onlineatlas zu den Orten der nationalsozialistischen Bücherverbrennungen 1933, eine Wanderausstellung und viele weitere Infos zum Thema Bücherverbrennung.

Die Bücher, die Hitler nicht verbrannte – Doku auf ARTE. In Österreich nur via VPN abspielbar.

Bildquellen:
Foto Stacheldraht via pixabay von Carlotta Silvestrini
Foto der Zeichnung von Otto Gerhausen (1881-1936) gemeinfrei

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